Nierenkrank: Die Entgiftungszentrale streikt
Medizin
Sie arbeiten rund um die Uhr und filtern täglich 1.800 Liter Blut. Obwohl die Nieren lebenswichtig sind, wissen die meisten Menschen kaum etwas über die etwa zehn Zentimeter kleinen, bohnenförmigen Organe in ihrem Körper.
Ein Interview über Nierenerkrankungen, Dialyse und Vorsorge mit OA Dr. Martin Gerke, Nierenspezialist an der Privatklinik Wehrle-Diakonissen.
Wie ernst muss man Nierenerkrankungen nehmen?
Laut der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie leiden zumindest 200.000 Menschen in Österreich an einer chronischen Nierenschwäche, der so genannten Niereninsuffizienz. Die Dunkelziffer liegt bei bis zu 900.000 – Tendenz leider steigend.
Die Nierenschwäche geht immer mit einem hohen Risiko für Herzerkrankungen und Gefäßverkalkungen einher. Wird sie übersehen oder nicht richtig behandelt, kann eine künstliche Blutwäsche mittels Dialyse erforderlich werden. Im schlimmsten Fall kann der*die Patient*in aber auch einen tödlichen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden.
Wie wirkt sich die Nierenschwäche im Körper aus?
Das Blut wird nicht mehr ausreichend gereinigt, was zur Ansammlung von schädlichen Schlackstoffen führt. Phosphor etwa stört bereits im Frühstadium einer Nierenschwäche den Knochenstoffwechsel – dem Knochen wird Calcium entzogen, was zu Verkalkungen der Gefäße und Herzklappen führt.
Wie kann man eine Nierenschwäche erkennen?
Leider wird die schleichende Gefahr von Betroffenen meist erst im Spätstadium wahrgenommen. Symptome sind z.B. Magen-Darmbeschwerden mit Übelkeit, fehlender Appetit, Leistungsschwäche, Müdigkeit, Juckreiz, eine erhöhte Infektanfälligkeit, hoher Blutdruck und Flüssigkeitsansammlung im Gewebe. Wenn diese Symptome auftreten, ist – abhängig von den Laborwerten – meist bereits eine Dialyse erforderlich.
Ist die künstliche Blutwäsche eine Dauerlösung?
Nein, leider kann die Dialysemaschine nicht alle Funktionen der Niere übernehmen – sie ist eine rettende Überbrückung bis zur Nierentransplantation. Die Dialysepatient*innen unserer Klinik kommen ca. dreimal pro Woche für vier Stunden zur Blutwäsche und erhalten dort auch fachliche Beratung und Begleitung. Es gibt eine Vielzahl an Komplikationen, die es zu vermeiden gilt. Die Haupttodesursache von Patient*innen an der Dialyse ist der plötzliche Herztod durch Herzrhythmusstörungen.
Das heißt, jede*r Dialysepatient*in ist auf eine Nierentransplantation angewiesen?
Im Prinzip ja. Nur ist nicht jeder für eine Transplantation geeignet. Außerdem gibt es viel mehr Dialysepatient*innen auf der Warteliste als Organspender.
Es ist mir wichtig, auf das Schicksal der Patient*innen und auf die Möglichkeit einer Organspende aufmerksam zu machen. Durch die moderne Transplantationsmedizin ist eine Lebendspende heute auch möglich, wenn Spender*in und Empfänger*in nicht die gleiche Blutgruppe haben. Für die*den Spender*in bleibt der Verlust einer Niere in der Regel ohne gesundheitliche Folgen, wenn er bislang gesund war und regelmäßige Nachsorgeuntersuchungen erfolgen.
Was raten Sie als Nierenexperte in Bezug auf Vorsorge?
Jeder sollte an eine regelmäßige Nierenvorsorgeuntersuchung denken – ganz besonders Diabetiker*innen, Fettleibige und Bluthochdruckpatient*innen, denn sie stellen mit fast 50 Prozent den höchsten Anteil der Dialysepatient*innen. Bislang wurde allgemein viel zu wenig in Sachen Vorsorge getan. Dabei gibt es gute Früherkennungsmarker, die es ermöglichen, durch rechtzeitiges Eingreifen ein Fortschreiten des Nierenfunktionsverlustes zu verzögern. Hinweise sind hoher Blutdruck, Wasseransammlungen oder Blut bzw. Eiweiß im Harn. Ein erhöhter Kreatininwert im Blut ist bereits ein Zeichen für eine um mindestens 50 Prozent verschlechterte Nierenfunktion und sollte unbedingt weiter abgeklärt werden. Dabei ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Hausärzt*innen und Fachärzt*innen für Nierenheilkunde erforderlich.
Ziel ist, es Patient*innen mit eingeschränkter Nierenfunktion möglichst frühzeitig zu entdecken und damit kardiovaskuläre Komplikationen zu verhindern. Also Menschen mit erhöhtem Blutdruck, Adipositas oder Diabetes mellitus oder Nierenerkrankungen in der Familie. Es gibt auch neue Medikamente, die den Nierenfunktionsverlust aufhalten können, wenn man Sie rechtzeitig einsetzt.
OA Dr. Martin Gerke, Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie, ist Leiter der Dialyse an der Privatklinik-Wehrle-Diakonissen.