Kreuzbandriss: Was nun?
Medizin
Ob Hobbysportler oder Spitzenathlet: Der Kreuzbandriss ist im Wintersport die häufigste Bandverletzung am Knie – vor allem bei Skifahrer*innen. Warum das Kreuzband besondere Aufmerksamkeit erfordert, erklärt Knie-Spezialist Primar Dr. Gerd Seitlinger.
Man hat den Eindruck, dass Kreuzbandrisse häufiger vorkommen als früher. Stimmt das?
Ja, das ist wirklich so. Während auf der Skipiste vor Jahren noch Knochenbrüche - klassischerweise Unterschenkel-Brüche - dominierten, sind heute durch den Einsatz von Carving-Skiern und neuen Bindungssystemen Bandverletzungen in den Vordergrund gerückt. Das neue Material begünstigt Drehbelastungen und somit kommt es häufig zu Bandschädigungen im Knie, wobei meist das vordere Kreuzband und das Innenband betroffen sind.
Wie kommt es zum Kreuzbandriss?
Oft sind es Bagatellbewegungen, z.B. beim Liftaussteigen oder beim langsamen Fahren: Der Ski greift, fährt um die Kurve, das Knie bleibt aber stehen. Diese Drehbewegung des Kniegelenks lässt das Band reißen.
Welche Auswirkungen hat ein Kreuzbandriss?
Das Kreuzband besteht aus zwei Bändern, die das Kniegelenk kreuzen und dadurch Oberschenkel und Schienbein verbinden und stabilisieren: Das vordere und das hintere Kreuzband. Durch den Riss wird das Kniegelenk überbeweglich und es kommt zu einer Instabilität zwischen Ober- und Unterschenkelknochen. Verbleibt die Instabilität trotz Reha, so führt das zu einem starken, schmerzhaften Gelenkverschleiß, der so genannten Arthrose.
Was sind die typischen Symptome eines Kreuzbandrisses?
Oftmals schildern Patient*innen, dass sie das Reißen gespürt oder einen Knall im Kniegelenk gevhört haben. Das Knie schwillt dann rasch an, Schmerzen setzen ein und man kann das Bein nur mehr eingeschränkt bewegen oder belasten. Besonders unangenehm ist, dass das Knie auslässt, dass es nicht mehr stabil ist.
Beim Skifahren kommen meist noch Begleitverletzungen, wie z.B. Schienbeinkopf-Frakturen, Innenband- und/oder Meniskusverletzungen dazu.
Wie rasch sollte das abgeklärt werden?
Wenn der Verdacht auf Kreuzbandriss besteht, ist eine sofortige Abklärung absolut sinnvoll. Neben einer klinischen Untersuchung ist der Goldstandard das MRT, weil hier Bänder, Menisken und Knorpel dargestellt werden können.
Welche Behandlungsoptionen hat man im Falle eines Kreuzbandrisses?
Grundsätzlich ist zu sagen, dass nicht jedes Kreuzband operiert werden muss. Circa ein Drittel der Patient*innen kommt bei gutem Verlauf und konsequenter muskulärer Stabilisierung auch ohne vorderes Kreuzband zurecht, wobei natürlich die sportlichen Ambitionen, die Lebenssituation und die Stabilität des Knies relevant sind. Wichtig ist die Frage, ob man aufgrund der Verletzung frühzeitig eine Arthrose zu erwarten hat. Wenn das Knie stabil und Meniskus und Knorpel nicht verletzt sind, besteht keine erhöhte Arthrosegefahr.
Ob und wie rasch operiert werden muss oder nicht, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Zu den „harten“, medizinischen Kriterien gehören beispielsweise Begleitverletzungen, wie ein eingeklemmter Meniskus oder weitere Bandverletzungen. Diese müssen sehr zeitnah versorgt werden.
Wenn operiert werden muss: Wie rasch sollte das geschehen?
Günstig für den Patienten*die Patientin ist natürlich, gleich zu operieren. Denn warum sollte man sechs Wochen mit einer Einschränkung durch ein gerissenes Kreuzband leben wollen, nicht arbeiten gehen können etc.? Gleich bedeutet innerhalb der ersten drei Tage.
Wie erwähnt, ist der Operationszeitpunkt aus medizinischer Sicht immer eine Frage der Begleitverletzungen. Wenn der Menikus eingeklemmt ist, sollte das gleich versorgt werden, da er ansonsten möglicherweise nicht mehr genäht werden kann.
Wenn das Knie jedoch einmal in einem richtigen Entzündungszustand ist, d.h. es ist schmerzhaft, geschwollen, in der Bewegung eingeschränkt, so muss die Entzündungsreaktion abgewartet werden. Es besteht ansonsten die Gefahr, dass es nach der OP zu einer Bewegungseinschränkung durch eine Arthrofibrose, eine Verklebung des Knies, kommt.
Wie wird das Kreuzband operiert?
Es wird sehr viel zum Kreuzband geforscht und dem entsprechend high-tech sind die Operationsmethoden. Der ca. sechzigminütige Eingriff wird arthroskopisch durchgeführt, das heißt, die Kniegelenksspiegelung erfolgt über kleinste Schnitte.
Der Goldstandard ist, dass man eine körpereigene Sehne entnimmt und diese statt des gerissenen Kreuzbands einzieht. Die Sehne wird im Knochen befestigt. Man hat drei Optionen an körpereigenen Sehnen: die Semitendinosus-/Gracilissehne, die Patellarsehne oder die Quadrizepssehnen.
Immer häufiger werden auch Spendersehnen eingesetzt. Der große Vorteil dabei ist, dass der Patient*die Patient*in keinen Entnahmedefekt erleidet. Der Nachteil ist, dass eine Spendersehne leichter reißt als eine körpereigene und dadurch die so genannte Re-Rupturrate höher ist. Die Wahl der Sehne und die OP-Technik werden zuvor ausführlich mit dem Patienten*der Patient*in besprochen.
Wie gestaltet sich die Nachbehandlung und die Rehabilitation?
Nach einer Nacht in der Klinik darf der Patient*die Patient*in nach Hause und geht die ersten zwei Wochen auf Stützkrücken, um die Entzündungsreaktion und die Schmerzen besser im Griff zu haben. Eine physiotherapeutische Begleitung und angeleitetes Krafttraining sind unmittelbar nach der OP immens wichtig.
Das Einwachsen der neuen Sehne kann acht Monate bis ein Jahr dauern. Deswegen ist „back to sports“ beim Kreuzband ist relativ lang, weil man dieses Einwachsen abwarten will. Innerhalb der ersten beiden Jahre gibt es eine Häufung der Re-Rupturrate - bei Sportler*innen ist diese um bis zu 20 Prozent erhöht. Das muss man immer dazusagen: Das neue Kreuzband kann auch wieder reißen.
Was gibt es Neues in Sachen Rehabilitation?
Hier gibt es extrem spannende Erkenntnisse! Man hat festgestellt, dass nach einem vorderen Kreuzbandriss überdurchschnittlich häufig auch die gesunde, andere Seite reißt. Diese Verletzung macht offensichtlich auch etwas im Gehirn, das heißt, die Koordination, das Ansteuern ändert sich. Im Bereich Reha wird deshalb jetzt ganz viel in Richtung Neurorehabilitation und Hirnforschung gemacht. Das ist gerade ein extrem spannendes Feld und neu für alle. Noch profitieren primär Spitzensportler*innen von dieser jungen Reha-Entwicklung.
Vielen Dank für das interessante Gespräch!
Primar Dr. Gerd Seitlinger ist Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, Unfallchirurgie und Allgemeinchirurgie, und leitet als Ärztlicher Direktor die Privatklinik Wehrle-Diakonissen sowie deren Private Unfallambulanz.
Kreuzbandriss im Überblick
- Die Begleitverletzungen geben die Therapie vor.
- Nicht jeder Kreuzbandriss muss operiert werden.
- Eine zeitnahe Operation binnen drei Tagen verkürzt die Einschränkungszeit.
- Neben körpereigenen Sehnen kommen heute auf Wunsch auch Spendersehnen zum Einsatz.
- Operation und Rehabilitation sind für die Erfolgschancen gleich wichtig.
- Die für den orthopädischen Bereich noch junge Neurorehabilitation birgt großes Potential.
Erste-Hilfe-Maßnahmen bei vermutetem Kreuzbandriss (PECH-Regel)
- Pause, d.h. sportliche Aktivität umgehend beenden
- Eis, d.h. schmerzende Stelle kühlen, jedoch Eis nicht direkt auf die Haut legen (auch ein kühles, nasses Tuch tut gut)
- Compression, d.h. Verband zum Stabilisieren
- Hochlagern
Darüber hinaus
- Schmerzlindernde, entzündungshemmende Medikamente einnehmen
- Spezialist*innen aufsuchen